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12 | November |
01.11.12 | Reise nach Wien. Und in der TAZ ein toller Text von Ekkehard Knörer (LINK) über die Filme von Hong Sang-soo, dessen Filme jetzt im Arsenalkino laufen. |
02.11.12 | Mein erstes Abendessen gestern mit Gästen der 50. Viennale im Café Prückel, das doppelt so alt ist. Wien im Morgennebel. Die tiefstehende Sonne erleuchtet für nur wenige Minuten den Stephansdom. |
03.11.12 | Vor zwei Wochen habe ich noch in Berlin zugesagt, an einer Führung durch Wien mitzumachen - ein Angebot der Vienna Film Commission. Ich war der Einzige Viennalegast, der das machen wollte und war auch nur ein bisschen neugierig. Aber es war einfach wunderbar. Meine beiden Fremdenführer haben entschieden, mir zuerst den St. Marx Friedhof zu zeigen. Ich habe gesagt, macht ihr das, weil ich bald dreiundsiebzig bin und das ein Alter ist, an dem man ans Sterben denken muss. Sie haben nur gesagt, dass sie beide da öfter hingehen, weil der Friedhof so schön ist. Der Friedhof ist seit 1870 geschlossen. Alle Menschen, die danach gestorben sind, sind auf dem Zentralfriedhof beerdigt. Der hat inzwischen mehr Gräber als Wien Einwohner hat. Auf allen Gräbern sind die Berufe der Gestorbenen angegeben. Der Erfinder der Nähmaschine… …und Mozart. Danach waren wir im Prater und sind mit dem Riesenrad gefahren. Im Vorraum gibt es mehrere Schaukästen mit wichtigen Stationen aus der Wiener Geschichte. Hier die Türken vor Wien. Nach dem Zweiten Weltkrieg. Halb Wien ist von Bomben zerstört. Als Allererstes haben die Wiener das Riesenrad im Prater wieder aufgebaut. Der Blick vom Riesenrad. Im Riesenrad kann man Parties und Meetings veranstalten. Im Bild gedeckte Tische. Es ist sogar möglich da zu heiraten. Ich muss gestehen, ich hätte gute Lust dazu. Der Wienerwald. Ich denke dabei nur an die Wienerwald-Brathendllokale aus den 60er Jahren. Mit Klaus Lemke und Max Zihlmann bin ich in München manchmal da essen gegangen, wenn es irgendwas zu feiern gab. Am Nachmittag habe ich "Syrakus" von Klaus Wyborny gesehen. Er mischt Gedichte von Durs Grünbein mit Bildern aus Resten der römischen und griechischen Antike: Statuen, Ornamente, Wandmalereien, Säulen, Höhlen, ganze Gebäude. Aber er zeigt auch die Wirklichkeit der Jetztzeit und da vor allem Natur: Blumen, Bäume, Seen, Flüsse, das Meer. Es ist ein verwirrender Blick auf die Welt. Eine totale Synthese. Voller Poesie und Melancholie. Ganz klar der Film eines alten Mannes. Ich war todmüde, als ich mich ins Kino setzte und dachte, ich würde sofort einschlafen. Aber ich habe keine Sekunde die Augen zugemacht, sondern wurde immer wacher. Und beim Abendessen für die Festivalgäste treffe ich endlich den Festivalchef Hans Hurch und freue mich so sehr darüber, dass mein Moderator beim Publikumsgespräch nach "INS BLAUE" mich fragt, ob ich irgendwelche glücklich machende Pillen gegessen hätte. |
04.11.12 | Am Morgen die zweite Vorführung von "INS BLAUE". Ich sehe meinen Film mit dem Publikum und bin erstaunt, wie sehr ich meine Schauspieler noch immer (oder wieder) mit Abstufungen liebe. Gleichzeitig kontrolliere ich die englischen Untertitel auf der 35mm-Filmkopie. Das Metro-Kino ist zwar ausverkauft, aber nicht alle Plätze sind besetzt wie gestern. Ich frage Olaf Möller wie gestern, warum er in der Kölner Stadtrevue geschrieben hat, dass "INS BLAUE" ein Meisterwerk sei. Er erklärt das diesmal noch besser als gestern Nacht. Das gesamte Publikumsgespräch wird von Filmstudenten gefilmt. Hinterher mache ich mit der jungen Regisseurin ein längeres Interview. Danach, vor dem Hotel, treffe ich… …Ingrid Caven. Wir sehen uns zum ersten Mal seit den Dreharbeiten von Max Zihlmanns Kurzfilm "Frühstück in Rom". Das war 1965. Ich erzähle ihr, dass "Frühstück in Rom" in 2 Wochen in Hamburg gezeigt wird. Sie sagt mir, dass dies der erste Film überhaupt ist, den sie gemacht hat und freut sich darüber, dass er jetzt wieder gezeigt wird. Der offizielle Festivalfotograf macht Fotos von uns beiden und dann dieses Foto von mir im Lift des Hilton. Danach muss ich was essen und sehe auf dem Weg… …diesen Satz von Heraklit, den ich vergessen hatte. Ich beziehe ihn auf mich und meine Arbeit als Filmemacher. Ein Graffito am Donaukanal auf dem Weg zum Mittagessen. Giovanni Spagnoletti. Für einen Film von ihm über Bertolucci habe ich vor vielen Jahren einmal die deutsche Off-Stimme von Bertolucci gesprochen. Jetzt ist er Direktor des Pesaro-Filmfestivals. Bei einem zweistündigen Interview mit Florian Widegger am späten Nachmittag. Er hat dafür eine Flasche Soju gekauft (das was in den Filmen von Hong Sang-soo immer wieder getrunken wird). Damit stoßen wir an. Im Gästebüro treffe ich zum zweiten Mal Miguel Gomez, der Regisseur von "Tabu". Florian Widegger macht ein Foto von uns beiden. Ich muss gestehen, zu diesem Zeitpunkt bin ich schon sehr betrunken (aber das bin ich immer, wenn ich auf der Viennale bin). Der Viennale-Chef Hans Hurch hat Miguel Gomez vorgestellt und sehr deutlich klar gemacht, dass "Tabu" einer der zwanzig besten Filme des Jahres ist. Nachdem ich "Tabu" gesehen habe (ich bin mir ziemlich sicher, dass mir zwischendurch manchmal die Augen zugefallen sind), fällt mir sofort ein, was der Festivalchef des Haiffa-Filmfestivals 1998 über "Die Ewigkeit und ein Tag" von Theo Angelopoulos gesagt hat. Es gäbe nur zehn große Filmregisseure: Fellini, Chaplin … und Angelopoulos. Weil ich damit damals, nachdem ich den Film gesehen hatte, ganz und gar nicht einverstanden war, habe ich das Drehbuch zu "PARADISO - SIEBEN TAGE MIT SIEBEN FRAUEN" geschrieben und dann gedreht. Was werde ich jetzt machen? |
05.11.12 |
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06.11.12 |
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07.11.12 | Nach einer langen Fernsehwahlnacht in der ARD am Morgen die Erlösung: Danach habe ich zwei Filme von Hong Sang-soo angeschaut, denn ich habe Christiane Peitz vom "Tagesspiegel" angeboten, bis morgen Mittag einen Text zur Retrospektive im Arsenal-Kino zu schreiben, der am Freitag oder Samstag erscheinen soll. |
08.11.12 | Mein Hong-Text für den "Tagesspiegel" ist Gott sei Dank fertig und per email abgeschickt. Jetzt bin ich endlich wieder ein normaler Mensch und kann ruhig in den Tag hinein leben. Am Samstag muss ich eine Einführung zu "The Turning Gate" machen, aber da überlege ich mir nicht vorher, was ich sage. Nach den ersten drei Sätzen warte ich auf Reaktionen des Publikums. Wenn ich keine spüre, sage ich halt irgendwas Nettes. Wenn wie bisher nur fünfzig Leute im Kino sitzen, mache ich es vermutlich ziemlich kurz und haue danach ab. Wenn es doppelt so viele sind, bin ich glücklich und habe dann dabei das Gefühl, es wäre ein Film von mir, der da gezeigt wird. |
09.11.12 | Mein Hong-Text von gestern für den Tagesspiegel ist Online (LINK) und auch gedruckt. Danach fahre ich endlich wieder Fahrrad. Heute durch die herbstliche Hasenheide. Viele Läufer, viele Dealer. |
10.11.12 | In meiner Email war heute unter vielen anderen folgende Nachricht von der "Post". |
11.11.12 | Im Traum war ich heute Nacht eine Person in einem Hong Sang-soo Film. In Schwarzweiß. Da war eine Hütte in einer kargen Landschaft, in der ich wohl eine Zeit lang gelebt hatte und musste schnell weg. Ich musste alle meine Sachen ganz schnell packen und bin dabei aufgewacht. Das ist mir noch nie passiert. Im Arsenalkino waren gestern 101 Zuschauer. |
12.11.12 | Mein Traum heute Nacht: mein Vater feiert seinen 70. Geburtstag. Ich überlege lange, was ich ihm schenken könnte. Dann schreibe ich ihm einen ziemlich langen Brief, der damit endet, dass mein Geburtstagsgeschenk für ihn eine kleine Rolle in meinem neuen Film ist. |
13.11.12 | Heute bin ich unternehmungslustig und entdecke den neuen Park am Gleisdreieck, an dem ich immer nur mit dem Auto vorbei gefahren bin. Dabei fühle ich mich wie in einen Film von Hong Sang-soo versetzt. Was da auf dem Boden herumliegt, sind Eisenbahnschienen. Ein Bahngebäude, das noch in Betrieb ist, denn dahinter fährt der Regionalexpress. Ganz unten ein Imbiß, der allerdings nur im Sommer geöffnet ist. Wie auf dem Tempelhofer Flughafen kann man da Cappucino trinken. Ein Kinderspielplatz. Wenn die Bäume links und rechts Bambus wären, dann könnte ich das in einem Film als Südkorea ausgeben. |
14.11.12 | Mein Tag heute begann mit diesem Geburtstagsblatt, das mir ein Moana-Blogleser geschickt hat. Danach bin ich wieder Fahrrad gefahren. Zum erstem Mal im Stadtverkehr. Zum gestern entdeckten Park. Das hier ist die Einfahrt unter den Yorckbrücken. Auf der Rückfahrt finde ich diesen Flohmarkt. Eigentlich ist es der Eingang einer Kirche. Sie liegt direkt neben dem Yorck-Kino, das einmal mein Lieblingskino war. Mein Traum damals war, jeden Samstag in einer Nachtvorstellung auf der großen Cinemascope-Leinwand "DETEKTIVE" zu zeigen. In der Hoffnung, dass von Woche zu Woche mehr Besucher kommen. Das ist jetzt 30 Jahre her. In der Fidicinstraße ist inzwischen auch das Altersheim fertig geworden, und es sieht von außen so aus, als seien alle Zimmer inzwischen belegt. Also keine Chance für mich einzuziehen. Abgesehen davon, dass ich das Wohnen da auch nicht bezahlen könnte. Mir bleibt definitiv nur das Filmemachen. |
15.11.12 |
Aus Kairo die neuesten Grafitti an der Mohammed Mahmud Street. Koranverse. |
16.11.12 | Diese Einladung fand ich in meiner Post bevor ich zur Viennale gefahren bin, hatte wenig Lust da hinzugehen. "Heimat-Abend" klingt fürchterlich altmodisch. Mit Nicoletta Drossa, die ich gefragt hatte, ob sie Lust hätte, da mit mir hinzugehen, bin ich dann hingegangen. Sie hatte große Lust. |
17.11.12 | Berlin ist heute grau und kalt und hässlich. |
18.11.12 | Gestern ist mir in einer Buchhandlung der zweite Roman von Stephan Thome "Fliehkräfte" ins Auge gefallen, und ich habe ihn gekauft. Ich google seinen Namen und entdecke bei Wikipedia, dass er gar nicht richtig "Thome", sondern "Schmidt" heißt, dass er wie ich in Biedenkopf geboren ist (mein Geburtsort Wallau ist jetzt ein Ortsteil von Biedenkopf) und frage mich, warum er sich als Künstlernamen ausgerechnet meinen Namen ausgesucht hat. |
19.11.12 | Kleine und große Veränderungen gestern an der Mohammed Mahmud Street in Kairo. |
21.11.12 | Zum neuesten Hong-Film "In Another Country" ins Arsenalkino bin ich nicht mit dem Auto, sondern mit der U-Bahn gefahren. |
22.11.12 | In Kairo kämpfen jugendliche Demonstranten am Tahrirplatz, um an die Kämpfe vor einem Jahr zu erinnern, mit Militär und Polizei schon seit Montag. |
23.11.12 | In Kairo brennt eine Mädchenschule. Der ägyptische Präsident Mursi beschließt ein Gesetz, das ihm diktatorische Rechte einräumt - "um die Revolution zu retten". Weder Justiz noch Parlament können etwas dagegen unternehmen. Meine Freundin in Kairo sagt, jetzt wird Blut fließen. Am Tahrirplatz heute morgen. AhramOnline (LINK) bringt dazu Live Updates. Während Präsident Mursi vor seinem Präsidentenpalast mal wieder eine endlos lange Rede hält (Link), schreibt der englische Guardian, werden in der Mohammed Mahmud Street die Leute, die gegen ihn protestieren, mit Tränengas eingenebelt. |
24.11.12 | Nach dem Freitagsgebet Protestmärsche durch Kairos Straßen. Am Tahrirplatz. 12 km mit dem Fahrrad gefahren. Zwischen zwei und drei Uhr ist es schon fast dunkel heute. |
25.11.12 |
Ein Video von gestern Nacht. Die Muslimbrüder-Polizei ist schlimmer als die Mubarak-Polizei. Meine Freundin war am Tahrirplatz und ist entsetzt zurückgekehrt. Alles voller Tränengas. Auf Twitter schrieb einer gegen 8 Uhr heute morgen, dass die Polizei innerhalb einer Stunde 100 Tränengasgeschosse abegefeuert hat. Ich habe heute zum ersten Mal in der Wikipedia das Stichwort "Ermächtigungsgesetz" angeschaut. Dieses Gesetz wurde vom Reichstag beschlossen. Mursi hat sich selbst die Macht eingeräumt. In Ägypten gibt es eine TV-Station, die ständig zeigt, was auf dem Tahrirplatz passiert. Mein Herz ist in Ägypten, denn auf Twitter kriege sich ständig neue Nachrichten, aber ich bin hier auf meinem Bauernhof. Den richtigen Sonnenuntergang habe ich um ein paar Minuten verpasst. |
26.11.12 | Ich nutze das schöne Wetter, um im Garten die heruntergefallenen Blätter mit den Rasentraktor zu zerkleinern. Die Sonne steht jetzt so tief, dass sie nicht mehr in den Innenhof hereinscheint. Deshalb muss ich die Wäsche zum Trocknen draußen im Garten aufhängen. Eine englisch untertitelte TV-Show über die Kämpfe in der Mohammed Mahmud Street, bei denen fünfundvierzig protestiernde Menschen getötet wurden. Damals ging es gegen SCAF, die Militärregierung. Heute geht es gegen die Muslimbrüder. Nichts hat sich nach einem Jahr geändert. In Erwartung der Auseinandersetzungen morgen zwischen Anhängern der Muslimbrüder und den Revolutionären, hat das Kairo Filmfestival seine Eröffnungsveranstaltung von Dienstag auf Mittwoch verschoben - um die vielen Gäste aus aller Welt nicht zu gefährden. Schüler und Studenten haben morgen frei. Auch die amerikanische Botschaft (LINK) ist morgen geschlossen und warnt alle Amerikanischen Staatsbürger vor eventuellen Ausschreitungen. |
27.11.12 |
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28.11.12 | Zwischen zwei- und dreihundertausend Menschen sollen gestern auf dem Tahrirplatz gegen Mursi demonstriert haben. Nicht nur Jugendliche, sondern Anwälte, Richter, Lehrer, Professoren protestieren - oft zum ersten Mal. Wie ein starker Magnet scheint der Platz die Menschen anzuziehen. In der Nacht vom Montag auf Dienstag hat das Militär diese neue Mauer gebaut. Am frühen Morgen hat sie ein Grafittikünstler komplett gelb gestrichen und dieses riesengroße Smiley darauf gemalt. Es ist auf dem Foto meiner Freundin noch nicht fertig, aber unter diesem LINK kann man es fertig sehen. |
29.11.12 | TIME in den USA veröffentlicht ein Interview mit dem ägyptischen Präsidenten (LINK). Die Verfassungsgebende Versammlung, die seit Monaten an der neuen Verfassung arbeitet, ist plötzlich über Nacht damit fertig geworden. Schon in der nächsten Woche sollen die ägyptischen Wähler darüber abstimmen. Wenn der oberste ägyptische Gerichtshof am Sonntag nicht beschließt, sie aufzulösen. |
30.11.12 |
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